In der Johanneskirche in der Eintracht in Siegen, gab es zur Weihnacht kleine Geschenke. (Alle Repros, Fotos (c): presseweller)
An den Feiertagen mit Bus und Bahn und zu Fuß zu den Großeltern
Von Georg Hainer
Dezember 2015.
Siegen. Vor Weihnachten ging es öfter in die Stadt. Nach kleinen Geschenken schauen. Wir Kinder drückten uns die Nasen an den Schaufenstern platt. Es gab ja schon reichlich Spielzeug. Bauklötze, Bären, Puppen, Puppenstuben, Burgen. Was das Christkind wohl bringen wird? Manchmal war ein Nikolaus in der Stadt. Mal schauen, was der hat. Die Adventswochen vergingen. Der Heilige Abend stand vor der Tür. Weihnachten. Bescherung und Besuche wie zu Oma und Opa.
In den 1950ern war noch der Nikolaus in der Stadt.
Weihnachten, das heißt auch heute für viele, die Eltern
besuchen, und wenn Enkel da sind, die Großeltern. Früher war das
gang und gäbe, auch in den 1950er-Jahren, als noch kein Auto vor der
Tür stand. Es war mit etwas Aufwand verbunden, aber alle freuten
sich darauf.
Ganz früh nach 1950
kam in der Adventszeit schon einmal der Opa zu uns aus dem
Heuslingtal in die Stadt. Er hatte einen grünen Lodenmantel an und
einen Rucksack geschultert. Er kam zu Fuß über die Höhe von
oberhalb der Zeitenbach, über Seelbach zum Fischbacherberg und von
dort über die Schemscheid zu uns auf den Rosterberg. Im Rucksack
verbarg sich meist Leckeres vom Land wie Butter und Wurst. Für
Normalverdiener waren die Zeiten trotz Währungsreform nicht üppig.
Die Verdienste waren aber so, dass Vater Arbeit hatte, man wohnen und essen konnte.Wohnte
man nicht zusammen oder lebten die Eltern etwas weiter, feierte man
den Heiligen Abend alleine. Zum Teil gab es die Bescherung erst am
Weihnachtsmorgen, am 25. Dezember.
Besuche mit dem Bus und zu Fuß
Weihnachten war die Zeit, die Eltern zu besuchen. Für die Enkel: zu Oma und Opa.
Hier und da gab es schon mal ein Auto. Den eigenen Wagen konnten sich Normalverdiener meist noch lange nicht leisten, ob als Büroangestellter,
Fabrikarbeiter oder kleiner Beamte. Man ging auch weitere Wege zu
Besuchen, zur Arbeit oder zur Schule zu Fuß oder nutzte bei weiteren
Strecken Bus und Bahn. Das war bei uns am 1. und 2. Weihnachtstag so. Den
einen Tag zu Mutters, den anderen zu Vaters Eltern. Ins Heuslingtal
fuhren wir mit dem Bus bis Lindenberg und gingen den Rest zu Fuß.
Gegen Abend umgekehrt. Damals war das normal, und es machte niemandem
was aus. Aber die Stunden, da zu sein, waren schön. Man traf dann im
Elternhaus auch die anderen Verwandten, wir Kinder also die Tanten,
Onkel, Cousinen und Cousins. Essen für alle und draußen auf der
großen Wiese spielen und tollen. Die Erwachsenen
unterhielten sich über dies und das und tranken zusammen ein Bier
oder etwas anderes. Fahren musste ja niemand.
Oft gab es neben
Kringel, Boden und Riewekooche (Siegerländer Kartoffelbrot) so
genanntes Kuchenbrot, ein süßliches Weißbrot, ab und an mit
Rosinen, mit guter Butter und hausgemachter Marmelade bestrichen.
Köstlich! Wie der Riewekooche. Ein erfüllter Tag!
Klar, überall auch ein kleiner Weihnachtsbaum.
In den Westerwald
Am anderen
Weihnachtstag ging es in den Westerwald bis hinter Gebhardshain. Da
musste man schon einige Zeit einplanen. Mit dem Zug nach Betzdorf.
Dann mit dem Bus auf die Westerwälder Höhen. Da wir nicht so oft im
Jahr dahin fuhren, war das ebenfalls sehr schön. Das ging schon
vormittags los. Bei Oma und Tanten stand das Mittagessen nach dem
Kirchgang pünktlich um 12 Uhr auf dem Tisch. Oma sagte ein
Tischgebet. Da Tante Barbara Hauswirtschaft und Kochen gelernt hatte,
war alles einfach nur lecker, von der kräftigen Suppe über den
Braten bis zum Gemüse. Wir saßen auf Stühlen und dem Sofa, die
Erwachsenen hatten jede Menge Gesprächsstoff – von früher bis
zum aktuellen Geschehen im Familienbereich, im Ort und in der
Politik. Für uns Kinder, ähnlich wie oben in Heuslingen, boten
große Wiesen, Stall und Scheune erlebnisreichen Spielraum. Mal hoch
ins Heu steigen. Bis zur Kaffeezeit. Die war um 15 Uhr angesagt.
Tante Barbara hatte wunder-genussvolle Buttercremetorten und Böden
gezaubert. Weil sie nicht nur kochen, sondern auch bestens backen
konnte. Sie machte das rigoros. Merkte sie, dass wider Erwarten ein
Kuchen nicht gelingen würde, kam er weg. Sie machte einen neuen. Was
war das eine allgemeine und genussvolle Freude an dieser
nachmittäglichen Kaffeetafel!
Glücklich und zufrieden
Danach ging für uns
der Besuch-Tag zu Ende. Wir mussten mit Bus und Bahn wieder den
Anschlüssen gerecht werden, um irgendwann am Abend zu Hause zu sein.
Wenn danach auch
wieder Alltag einkehrte: Von den Weihnachtserlebnissen in dieser für
heutige Verhältnisse bescheidenen Einfachheit konnten wir stets noch
lange zehren. Wundersam, nur schön! Es hatte was von Glücklichsein
und Zufriedenheit.
Seit 1961 hatten wir
es einfacher. Mit dem eigenen Auto konnte man öfter einmal Besuche
machen. Und es wurden noch viele. Es war sicher so Mitte der
1930er-Jahre eine tolle Idee mit Porsche-/Volkswagenwerk ein für
viele finanzierbares Auto zu bauen. Unser erstes Auto war dennoch
kein Volkswagen, sondern ein Ford, ein 12 M mit Weltkugel, andere
hatten einen Goggo, Fiat oder Lloyd.
Hintergrund
Bis Mitte der 1950er-Jahre gab es keine großen Weihnachtsgeschenke, aber auch die kleinen machten den Kindern Freude, ebenso wie die Geschenke, die Vater und Mutter austauschten. Seit Ende der 1940er-Jahre hatten die meisten Väter wieder einen richtigen Arbeitsplatz, ob in einer der Fabriken wie Waldrich oder Bertram, in eine der Hütten wie in Niederschelderhütte, im Stahlwerk wie in Geisweid usw. usw. Andere arbeiteten im Handwerk, bei Behörden, bei Post, Fernamt oder Bahn. Bei den normalen Arbeitern, Angestellten und Beamten, die nicht in höheren Stellen oder Ämtern tätig waren, war der Lohn irgendwo auf ähnlichem Niveau. Man konnte keine "großen Sprünge" machen. Aber es reichte zum Leben, wenn es auch manchmal zum Monatsende hin knapp wurde. Für eine Wohnung mit zwei Zimmern und Küche zahlte man um die 30 bis 40 Mark, gute deutsche D-Mark. Vater und/ oder Mutter - die selten berufstätig war - waren länger auf der Arbeit als heute. Aber die Zeit schien auch für uns Kinder - Schule nur bis mittags, dann zum Mittagessen nach Hause - weit weniger schnelllebig und hektisch als heute zu sein. Trotz wenigen, aber auskömmlichen Geldes der Eltern eine rundum glückliche Kindheit!
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